FAIRreisen

Reisen in Zeiten der Klimakrise

Jeder hat ein Recht auf Erholung...

...aber auch auf eine Fernreise oder Kreuzfahrt?

Am 9. September 2024 präsentierte der Eine Welt Verein Dieburg gemeinsam mit der Kolpingfamilie und den Naturfreunden im Pater-Delp-Haus einen Vortrag für alle, die Urlaubsziele und ökologischen Fußabdruck in Balance bringen wollen. Unter der Überschrift: Nachhaltig reisen - mehr als nur ein Lippenbenntnis präsentierte der Referent Frank Herrmann, wie das geht.

Irgendwie hat man es sich ja schon gedacht: Wenn man ernsthaft klimafreundlich verreisen will, kommt eigentlich nur der Radurlaub ab der eigenen Haustür infrage oder Zelturlaub auf dem Öko-Campingplatz, den man mit Bahn, Reisebus oder Mitfahrzentrale erreicht. Aber Flugreisen mit Hotel plus Mietwagen, womöglich außerhalb von Europa? Oder gar eine Kreuzfahrt?

No way. Beim Anhören von Frank Herrmanns Vortrag „FAIRreisen“ kann man ganz schön schlechte Laune bekommen, vor allem wenn man gerade dringend Urlaub braucht.

Tatsächlich ist Herrmann selbst leidenschaftlicher Reisender, nach Amerika, nach Neuseeland und Australien. Er war als Reiseleiter unterwegs, realisierte Entwicklungsprojekte – und initiierte die Faire Biketour in Deutschland. Er ist Tourismusexperte mit praktischer Erfahrung und ein großer Verfechter nachhaltigen Reisens. Für „FAIRreisen“ hat er sich genau angesehen, wie es besser gehen kann, wer auf dem Markt für verantwortungsvolles Wegfahren unterwegs ist und was es dort gibt.

Wie wichtig es ist, sich Gedanken zum Reisen zu machen, zeigt schon ein Blick auf die Statistik: Während 1950 gerade mal 25 Millionen Menschen jährlich im Ausland Urlaub machten, sind es derzeit ungeachtet von Krieg, Terror und Flüchtlingskrisen rund 1,2 Milliarden; 2030 sollen es nach Schätzungen des Welttourismusverbandes 1,8 Milliarden sein – plus der fünf- bis sechsfachen Menge von Reisenden innerhalb ihrer eigenen Länder. Weltweit setzt die Branche jährlich rund 2 Billionen Euro um und beschäftigt etwa 284 Millionen Menschen, überwiegend im Niedriglohnsektor.

All das erklärte Herrmann und auch die Folgen dieses rasanten Wachstums: von der falschen Gleichsetzung von Tourismus und Entwicklung und der Macht weniger internationaler Konzerne über in die Höhe schnellende Bodenpreise über Klimagase und Zersiedelung bis zu Tierquälerei, Verletzung der Menschenrechte und Kinderprostitution. Herrmann zeigt Fehlentwicklungen im Tourismus auf. Dabei geht es ihm nicht nur um Pauschalreisen an Reiseziele wie Mauritius, Kuba, Mount Everest, die Kalahari oder Thailand.

Wohin mit dem Müll?

Auch in westlichen Metropolen wie Berlin sorgen Städtereisende für eine „Touristifizierung: „nächtliche Ruhestörung, Zweckentfremdung von Wohnraum“. Besonderes Problem infolge des Andrangs von Millionen Besuchern auf engstem Raum: „Wer zahlt die Müllentsorgung, die Beschädigung von Kulturdenkmälern oder die Maßnahmen, die für eine sichere Lenkung und Kontrolle der Touristenströme erforderlich sind? In Disneyland zahle Disney, „in den meisten Städten sei dies „weder klar noch zentral geregelt“.

Die Beispiele sind immer wieder erschreckend: Etwa die Arbeitsbedingungen auf Kreuzfahrtschiffen, wo die „Kellner, Stewards und Zimmermädchen auch schon mal eine Arbeitszeit von zwölf Stunden und mehr pro Tag haben“ – bei einer 7-Tage-Woche, unbezahlten Überstunden und Unterbringung in engen Mehrbettkabinen, „oft wochenlang überwiegend künstlichem Licht und Klimaanlagen ausgesetzt“.

Für Herrmann sind diese Beschreibungen aber vor allem die Folie, vor der er seine Vorstellungen von einem „Tourismus mit Verantwortung“ entwickeln kann, die sich schon durch die ersten, den Ist-Zustand beschreibenden Kapitel ziehen: Kompensation für Flugreisen, ökologische Outdoorkleidung in den Bergen, Müllvermeidung und Respekt überall.

Seine Vorstellungen bekamen im letzten Teil noch einmal ausführlich Raum. Hier stellte er Definitionen, Siegel und Akteure vor – von der Globalen Tourismusbehörde über deutsche Verbände, Vereine und Gewerkschaften bis zu tourismuskritischen Organisationen wie Tourism Watch sowie Reiseveranstaltern, Reiseführern und -portalen.

Besondere Obacht empfiehlt Herrmann bei Reisen, die mit dem Anspruch werben, zur Rettung der Welt beizutragen. Freiwillige Auslandseinsätze oder gar den „Megatrend Volotourismus“ – wobei sich Touristen in einem konventionellen Urlaub kurzzeitig in einem gemeinnützigen Projekt in der Urlaubsregion engagieren. Solche Projekte sieht er kritisch, besonders wenn nicht klar ist, „wie der Reisepreis zustande kommt und wie viel Geld die Organisation erhält, bei der man arbeitet“.

Gut gemeinte Projekte

Der „Waisenhaustourismus“ in Siem Reap in Kambodscha etwa habe dazu geführt, dass „Waisenhäuser und Waisen“ entstanden, „wo vorher keine waren“ – viele der Kinder besitzen noch ein Elternteil und elternlose Mädchen und Jungen wachsen in Kambodscha traditionell bei Verwandten auf. „Den Großteil des Geldes stecken sich dubiose Organisationen in die Tasche.“

Herrmann argumentierte aber nicht prinzipiell gegen solche Reiseformen. Er gibt klare Empfehlungen: verantwortungsvolle Veranstalter, kleine Gruppen, Besichtigungen zu Fuß, Möglichkeiten zur dauerhaften Unterstützung mit transparenter Geldverwendung.

Nach dem Abend hinterlässt „FAIRreisen“ den Eindruck, dass man sich zumindest für die Reiseplanung viel Zeit nehmen sollte. Wenn es dann konkret wird, kann sein dazu vorgestelltes Handbuch mit den vielen Adressen und Shortlinks eine große Hilfe sein. Wem das zu anstrengend ist, der kann es laut Herrmann immer noch mit Slow Travel probieren. Dies Form des Reisens setzt auf Langsamkeit und die Bereitschaft zu kleinen Katastrophen: „Das Abenteuer kommt dann ganz von allein.“

Er schließt mit einem Zitat von J. W. Goethe:

Es ist nicht genug zu wissen -
man muss es auch anwenden.
Es ist nicht genug zu wollen -
man muss es auch tun.

Links und Hinweise

... folgen umgehend!

Zurück